Die Gaste, Ausgabe 12 / Mai-Juni 2010

Kulturrassismus und Muslimfeindlichkeit
im Zeichen des Rechtspopulismus
[Sað Popülizmin Gölgesinde Kültürel Irkçýlýk ve Ýslam Düþmanlýðý]


Prof. Dr. Christoph BUTTERWEGGE
(Universität zu Köln)




    Stehen die angebliche Privilegierung von Zuwanderern gegenüber den Einheimischen und/oder die „kulturelle Überfremdung“ im Vordergrund, handelt es sich um Nationalpopulismus. Charakteristisch für diesen ist, dass die zunehmende Pauperisierung breiter Bevölkerungsschichten, übrigens vor allem ethnischer Minderheiten, nicht etwa als Konsequenz ihrer Diskriminierung (z.B. im Bildungsbereich sowie auf dem Arbeitsmarkt) und einer ungerechten Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen, vielmehr als Resultat der zu großen Durchlässigkeit bzw. Aufhebung der Grenzen für Migrant(inn)en thematisiert und die Angst vor einer „Überflutung“ bzw. „-fremdung“ vornehmlich durch Muslime kultiviert wird.
    Die multikulturelle Einwanderungs- gesellschaft kann als Projektionsfläche für reale Sorgen und Ängste eines Großteils der Bevölkerung im Hinblick auf ihre soziale Lage, Ausgrenzungs- und Fremdheitserfahrungen, kulturell-religiöse „Überfremdungstendenzen“ oder den Einflussverlust des Christentums benutzt und (partei)politisch entsprechend instrumentalisiert werden. Die angeblich kulturell bedingte Fremdheit zwischen Ethnien ersetzt heute die Höher- bzw. Minderwertigkeit der offenbar selbst von manchen Rechtsextremisten nicht mehr für zeitgemäß gehaltenen „Rassen“. Man muss kein Prophet sein, um voraussagen zu können, dass der Kampf gegen Moscheebauten, „Ehrenmorde“ und die „Islamisierung“ Deutschlands bzw. Europas künftig ein Hauptagitationsfeld für rechtsextreme bzw. -populistische Gruppierungen bilden wird.
   
    Die gesellschaftlichen Rahmen- bedingungen des Kulturrassismus
    Dass sich die Erscheinungsformen des Rassismus in jüngster Zeit verändert haben, beruht auf einem Wandel seiner Hauptfunktion: Legitimiert wird heutzutage nicht mehr eine kolonialistische Politik der Expansion von Großmächten nach Übersee, sondern die Abwehr ihrer durch Arbeitsmigrant(inn)en, Armuts- bzw. Ökoflüchtlinge aus der sog. Dritten Welt personifizierten Folgen mit Hilfe verschärfter Asylgesetze, technisch perfektionierter Grenzkontrollen und Abschottung der „Wohlstandsfestung“ (West-)Europa. Kulturrassismus erleichtert es, zwischen Migrant(inn)en nach dem Grad ihrer volkswirtschaftlichen Nützlichkeit zu differenzieren. Einer der Hauptvorwürfe gegenüber den zuwandernden Muslimen besteht denn auch in ihrer mangelhaften (Aus-)Bildung bzw. ihrer rückständigen Kultur, die sie als der abendländischen Hochindustrie nicht gewachsen erscheinen lässt.
    Migration und Integration leiden gegenwärtig vor allem unter der massiven Entwertung bzw. einer tiefen Sinnkrise des Sozialen, die innerhalb der Aufnahmegesellschaft zum neoliberalen Um- bzw. Abbau des Wohlfahrtsstaates beiträgt, die Existenzbedingungen für Zuwanderer damit verschlechtert und aus folgenden Teilprozessen besteht:
    1. fällt die Tendenz zur Ökonomisierung des Sozialen ins Auge. Fast alle Lebensbereiche, etwa Kultur, (Hoch-)Schule, Freizeit und auch die soziale Infrastruktur, werden nach dem Muster des Marktes restrukturiert. Sozial zu sein bedeutet fortan nicht mehr, sich um arme, benachteiligte oder Menschen mit Behinderungen und ihre Probleme zu kümmern bzw. moralischen Verpflichtungen und ethischen Normen nachzukommen. Vielmehr wird auch das Soziale von der Konkurrenz, dem Gewinnstreben und betriebswirtschaftlicher Effizienz bestimmt.
    2. findet eine Kulturalisierung des Sozialen statt. Dies bedeutet, dass die Zugehörigkeit zur Gesellschaft nicht mehr über die Zugehörigkeit ihrer Mitglieder zu einer bestimmten Klasse, Schicht oder Gruppe definiert wird, die gemeinsame Interessen haben (und daher ein hohes Maß an Solidarität realisieren können, falls sie sich dessen bewusst werden), sondern dass stärker nach kulturellen Übereinstimmungen, also gemeinsamer Sprache, Religion und Tradition, gefragt wird. Das ist der Grund, weshalb sich Widerstand gegen diese Entwicklung nur schwer artikulieren und organisieren kann.
    3. ist eine Ethnisierung des Sozialen festzustellen. Je mehr die ökonomische Konkurrenz im Rahmen der „Standortsicherung“ verschärft wird, umso leichter lässt sich die kulturelle Differenz zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft aufladen und als Ab- bzw. Ausgrenzungskriterium gegenüber Mitbewerber(inne)n um soziale Transferleistungen instrumentalisieren. Ethnisierungsprozesse haben zwei Seiten: Neben einer Stigmatisierung „der Anderen“ bewirken sie eine stärkere Konturierung „des Eigenen“ bzw. die Konstituierung einer nationalen bzw. „Volksgemeinschaft“, mit der weiter reichende Ziele verfolgt werden. „Deutsche(s) zuerst!“ lautet ein Slogan, der solche Vorstellungen genauso wie „Ausländer raus!“-Parolen im Massenbewusstsein verankert.
    4. zeichnet sich eine Biologisierung des Sozialen ab. Gesellschaftlich bedingte Verhaltensweisen werden heute immer häufiger an den Genen festgemacht. Dabei spielt der Demografie-Diskurs, d.h. die Art und Weise, wie über die (Alters-)Struktur der Gesellschaft gesprochen und geschrieben wird, eine Schlüsselrolle. Wer die meist Katastrophenszenarien gleichenden Bevölkerungsprognosen betrachtet, deren Häufung in den Medien auffällt, stellt fest, dass die Urangst von Neonazis und Rechtsextremisten, „das deutsche Volk“ könne „aussterben“ (und zuwandernden Muslimen somit widerstandslos „das Feld räumen“), in die Mitte der Gesellschaft wandert.
   
    Terrorismushysterie und Stimmungsmache gegen Muslime
    Nach dem 11. September 2001 wurde die Deutung der Weltpolitik als „Kampf der Kulturen“ (Samuel P. Huntington) bzw. „Krieg der Zivilisationen“ (Bassam Tibi) beinahe zum journalistischen Gemeingut. Osama bin Laden und Al Qaida avancierten zu Chiffren, welche die Feindschaft gegenüber der westlichen Zivilisation symbolisieren. Terrorismus, Fundamentalismus und Islamismus erschienen als omnipräsente wie -potente Gefahr, der man im „Kampf gegen den Terror“ entgegentrat, wobei sich der Einwanderungs-, der Kriminalitäts- und der Gewalt- bzw. Kriegsdiskurs verschränkten. Hier seien nur das stern-Titelbild vom 27. September 2001, wo ein dunkelhäutiger Mann mit Vollbart und Sonnenbrille zu sehen ist, in deren Gläsern sich unter der Überschrift „Terror-Gefahr in Deutschland. Geheimdienste warnen vor Anschlägen radikaler Muslime“ die brennenden Türme des World Trade Center spiegeln, sowie das Titelbild eines Spiegel special (2/2003) zum Thema „Allahs blutiges Land. Der Islam und der Nahe Osten“ genannt, wo von verschleierten Musliminnen über einen bärtigen Fanatiker mit bluttriefendem Krummdolch bis zum flammenden Inferno über Juden alle Stereotype bedient werden.
    Noch lange nach den Attentaten dominierten in deutschen Massenmedien die Bilder der brennenden Zwillingstürme, militärische Metaphern und eine martialische Sprache. Nach dem Mord an dem niederländischen Filmemacher Theo van Gogh am 2. November 2004 avancierte „Parallelgesellschaft“ zu einem Modebegriff, der eine umfassende Drohkulisse aufbaut und düstere Entwicklungsperspektiven ahnen lässt. Für die Mainstream-Medien war das Konzept der multikulturellen Gesellschaft gescheitert, wie der „Die Schlacht um Europa“ überschriebene Artikel von Gilles Kepel in der Welt am Sonntag vom 21. November 2004 und das Titelblatt der am Tag darauf erschienenen Ausgabe des Münchener Nachrichtenmagazins Focus „Unheimliche Gäste. Die Gegenwelt der Muslime in Deutschland“ dokumentierten.
    In der umfangreichen Berichterstattung über „Zwangsverheiratungen“ von Mädchen und Frauen sowie „Ehrenmorde“ blieben (kultur)rassistische Untertöne gleichfalls nicht aus. Nachdem drei ihrer fünf Brüder die Kurdin Hatun Sürücü am 7. Februar 2005 in Berlin erschossen hatten, beschäftigte das Thema nicht nur die lokalen Medien wochenlang. So berichtete die Süddeutsche Zeitung am 26. Februar 2005 unter dem Titel „In den Fängen einer türkischen Familie. Muslimische Dorfmoral in der Berliner Moderne: Schon wieder haben türkische Männer eine Frau mit dem Tod bestraft. Die Geschichte eines brutalen Zusammenpralls der Kulturen“ darüber.
    „Jetzt droht Kampf der Kulturen“ (Rheinische Post v. 4.2.2006), „Sich rüsten für den Kampf der Kulturen“ (Welt am Sonntag v. 19.2.2006) oder „Kampf der Kulturen“ (FAZ v. 13.4.2006) lauteten typische Schlagzeilen zum sog. Karikaturenstreit und zu der Auseinandersetzung um den türkischen Film „Tal der Wölfe“, wie man sie seinerzeit in fast allen Zeitungen der Bundesrepublik finden konnte. Eine von wenigen Fundamentalisten, rechten Scharfmachern und religiösen Fanatikern inszenierte Konfrontation, die letztlich nur der Provokation von Andersdenkenden bzw. -gläubigen dient und zur (militärischen) Eskalation drängt, wird als unausweichliche, der ganzen islamischen Religion/Kultur zugeschriebene Auseinandersetzung von wahrhaft historischer Tragweite interpretiert. Ein solches Paradigma reduziert, wenn es sich in den Köpfen festsetzt, die Möglichkeiten für das friedliche Zusammenleben und Integrationsbemühungen auf ein Minimum.
   
    Was ist Rechtspopulismus?
    Rechtsaußengruppierungen (von „Pro Köln“, „Pro NRW“ und „Pro Deutschland“ über die REPublikaner, die DVU und die NPD bis zu den Neonazi-Kameradschaften) haben das Thema „Moscheebau, Minarette als Machtsymbole und Islamierung“ besetzt. Nur rechtspopulistische Kräfte sind jedoch in der Lage, bürgerlich-seriös aufzutreten und Verbündete in etablierten Kreisen zu finden. Als rechtspopulistisch können Personen, (Partei-)Organisationen, Strömungen und Bestrebungen bezeichnet werden, die den Dualismus von „Volk“, „Bevölkerung“ bzw. „mündigen Bürgern“ und „Elite“, „Staatsbürokratie“ bzw. „politischer Klasse“ zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Agitation und Propaganda machen.
    Stehen die angebliche Privilegierung von Zuwanderern gegenüber den Einheimischen und/oder die „kulturelle Überfremdung“ im Vordergrund, handelt es sich um Nationalpopulismus. Charakteristisch für diesen ist, dass die zunehmende Pauperisierung breiter Bevölkerungsschichten, übrigens vor allem ethnischer Minderheiten, nicht etwa als Konsequenz ihrer Diskriminierung (z.B. im Bildungsbereich sowie auf dem Arbeitsmarkt) und einer ungerechten Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen, vielmehr als Resultat der zu großen Durchlässigkeit bzw. Aufhebung der Grenzen für Migrant(inn)en thematisiert und die Angst vor einer „Überflutung“ bzw. „-fremdung“ vornehmlich durch Muslime kultiviert wird. „Antiislamismus“ ist ein irreführender Begriff, weil er suggeriert, seine Träger wendeten sich nur gegen den Fundamentalismus und den daraus resultierenden Terrorismus mancher Muslime. Auch der Terminus „Islamophobie“ trifft die Sache nicht, weil er so tut, als hätten die damit Bezeichneten wirklich Furcht vor den Muslimen.
    Kulturelle und religiöse Gegensätze basieren meist auf tiefer liegenden Konflikten, für die man die Mehrheitsgesellschaft sensibilisieren muss. Die globale Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise dürfte in nächster Zeit zu größeren sozialen Verwerfungen führen. Gerade deshalb muss vermittelt werden, dass Zuwanderung wie auch – daraus resultierend – die Koexistenz von Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, religiöser Bekenntnisse und kultureller Prägungen im Zeichen der Globalisierung zur Normalität westlicher Industriegesellschaften gehören. Schuld an der zunehmenden Spaltung in Arm und Reich sind aber nicht im Niedriglohnbereich konzentrierte Zuwanderer, sondern Eliten, die ihrerseits eine Parallelgesellschaft herausbilden, wenn sie in Luxusquartieren wohnen, die private Sicherheitsdienste bewachen, und sich gegenüber den Mittel- und Unterschichten auch räumlich immer deutlicher abschotten.
   

Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Seine letzten Buchveröffentlichungen zum Thema: „Zuwanderung im Zeichen der Globalisierung“,„Massenmedien, Migration und Integration. Herausforderungen für den Journalismus und die politische Bildung“ sowie „Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut. Befunde aus Deutschland, Österreich und der Schweiz“