Die Gaste, Ausgabe 13 / Juli-Oktober 2010

Zweisprachige Erziehung – Empfehlungen für Eltern
[Ýkidilli Yetiþtirmek - Ebeveynlere Öneriler]


Dr. Anja LEIST-VILLIS




    Wenn Eltern verschiedene Muttersprachen haben oder eine andere als die Sprache des Landes sprechen, in dem sie leben, dann hat ihr Kind die große Chance, zweisprachig aufzuwachsen. Mutter und Vater werden mit ihm konsequent ihre eigene Muttersprache sprechen, hinzu kommt die Sprache des Partners oder des Landes – das erscheint auf den ersten Blick ganz einfach. Im Alltag kann die praktische Umsetzung dieses Prinzips jedoch mit einer Reihe von Schwierigkeiten verbunden sein. Viele Eltern sind unzufrieden und denken rückblickend, dass sie es hätten besser machen sollen. Dabei belastet die meisten Eltern gar nicht so sehr, dass sie inkonsequent wurden, sondern dass dies unbewusst und ungewollt passierte.

    Der zentrale Ratschlag lauten im Folgenden daher auch ausdrücklich nicht: Seien Sie um jeden Preis konsequent! Sondern: Gestalten Sie die zweisprachige Erziehung so, wie es zu ihren persönlichen Lebensumständen passt. Fällen Sie frühzeitig bewusste Entscheidungen:

    – Entscheiden Sie, welche Sprache Sie am liebsten mit Ihrem Kind sprechen können und möchten. Es wird diejenige Spra¬che sein, der Sie sich am tiefsten verbunden fühlen und die Sie am besten beherrschen – vermutlich Ihre eigene Mutter¬sprache.

    – Formulieren Sie Ihre Erwartungen an die zweisprachige Ent¬wicklung Ihres Kindes: Möchten Sie, dass es sich beide Spra¬chen möglichst gut beherrscht, oder würde es Ihnen reichen, wenn es sich in einer der Sprachen nur Grundlagen aneignet?

    – Stellen Sie Ihre Erwartungen auf eine realistische Basis: Sel¬ten erwerben Menschen zwei Sprachen perfekt. Der Erwerb einer Nichtumgebungssprache kann mitunter ein anstrengen¬der Pro¬zess sein, in dem der Elternteil, der diese Sprache ver¬tritt, eine zentrale Rolle spielt – die Erfül¬lung Ihrer Erwartun¬gen hängt in hohem Maße von ihm ab. Aber auch andere Fak¬toren, wie das weitere Umfeld oder der Kindergarten, können die zwei¬sprachige Entwicklung Ihres Kindes beeinflussen.

    – Überlegen Sie, wie wichtig Ihnen ganz persönlich Konse¬quenz in der zweisprachigen Erziehung ist. Dies hängt mit Ihren Erwartungen zusammen: Ist es Ihnen sehr wichtig, dass Ihr Kind Ihre Muttersprache sehr gut spricht, ist es wichtig, dass Ihr Kind eine Notwendigkeit erkennt, diese Sprache zu erwerben. Diese wird u.a. dann hergestellt, wenn Sie konsequent mit Ihrem Kind diese Sprache sprechen. Setzen Sie sich und Ihr Kind jedoch nicht zu sehr unter Druck! Gerade die Inkonsequenz ist ja Ausdruck Ihrer lebendigen Zweisprachigkeit, und es ist nur natürlich, in Kommunikation mit Ihrem Kind beide Sprachen zu verwenden. Zudem sind Sie ein zweisprachiges Vorbild für Ihr Kind. Sie werden es motivieren, wenn Sie Ihre eigene Zweisprachigkeit als etwas Lebendiges, Natürliches und Positives empfinden und vorleben. Letztendlich gilt es, abzuwägen zwischen der Schaffung von Notwendigkeiten des Gebrauchs Ihrer Muttersprache einerseits und einem lebendig-natürlichen / pragmatischen Umgang mit Ihren Sprachen andererseits. Derartige Kompromisse können Sie auch mit Ihrem Kind gemeinsam aushandeln. Wichtig für Ihre eigene Zufriedenheit ist: Treffen Sie diese Entscheidungen ganz bewusst!

    – Analysieren Sie die Situationen, in denen Sie inkon¬sequent werden. Häufig sind es äußere Faktoren, die zu ungewollter Inkonsequenz führen. Es ist wichtig, diese immer wieder zu reflektierten: In welchen Situationen ist es wirklich notwendig, mit dem Kind die Umgebungssprache zu sprechen? Sind Sie selbst der Meinung, es sei unhöflich, Ihre Muttersprache in Gegenwart von Personen zu sprechen, die diese nicht verstehen, oder folgen Sie dem – tatsächlich ausgeübten oder subjektiv empfundenen – Druck Ihres Umfeldes? Sind evtl. in manchen Situationen pragmatische Gründe wie z.B. der Faktor Zeit wichtiger als die Einhaltung von Erziehungsprinzipien?

    – Die meisten Kinder durchlaufen Phasen, in denen sie den Gebrauch einer Sprache verweigern. Oft steht dieses Verhalten in einem wechselseitigen Zusammenhang zu Ihrer Konsequenz: Sprechen Sie mit Ihrem Kind mal Ihre Muttersprache, mal die Umgebungssprache, wird Ihrem Kind die Bedeutung Ihrer Muttersprache nicht klar – es denkt: Warum soll ich diese Sprache überhaupt sprechen? Spricht das Kind nun mit Ihnen in der anderen Sprache, kann es gut sein, dass Sie nun immer weniger Ihre Muttersprache mit dem Kind sprechen – ein wechselseitiger Zusammenhang! Überlegen Sie sich frühzeitig eine Strategie, wie Sie mit den Verweigerungen Ihres Kindes umgehen können und möchten, und versuchen Sie, diese zumindest in den ersten Lebens¬jahren Ihres Kindes beizubehalten.

    – Sprechen Sie eine Nichtumgebungssprache und Ihr/e Partner/in die Umgebungssprache? Bitten Sie ihn / sie, zumindest Grundkenntnisse in Ihrer Sprache zu erwerben. Denn wenn der Partner versteht, was Sie mit Ihrem Kind sprechen, müssen Sie nicht alles übersetzen und die Dominanz der Umgebungssprache innerhalb der Familie und damit Schwierigkeiten der Einhaltung der Konsequenz werden verringert.

    – Werben Sie in Ihrem sozialen Umfeld um Verständnis. Spre¬chen Sie mit ihren Freunden, Verwandten, Nach¬barn über die Bedeutung, die Ihre Muttersprache und die Zweisprachigkeit Ihres Kindes für Sie hat. Formulieren Sie den Wunsch, auch in ihrer Gegenwart ohne schlechtes Gewis¬sen mit Ihrem Kind diese Sprache sprechen zu können.

    – Setzen Sie sich mit den Inhalten der häufigsten Vorurteile aus¬ein¬ander, dann sind Sie vorbereitet und können z.B. sach¬lich entgegnen: „Es gibt keine wissenschaftlichen Hinweise darauf, dass Zweisprachigkeit eine Überforderung ist. Im Gegenteil. Aber negative Reaktionen von außen, die machen es uns schon schwer.“ Machen Sie sich immer wieder bewusst, wie wichtig Ihnen selbst Zweisprachigkeit ist, und dass es das Natürlichste der Welt ist, dass Eltern mit ihren Kindern ihre Muttersprache spre¬chen. Mit dieser bewussten Überzeugung fällt der Umgang mit Vorurteilen gleich viel leichter. Oftmals reicht es, als Entgeg-nung genau diese Überzeugung auszudrücken: „Für mich ist es selbstverständlich, dass ich mit meinem Kind meine eigene Muttersprache spreche!“ oder: „Natürlich ist die wertvollste Sprache für mich meine eigene Muttersprache – für Sie nicht?“

    – Suchen Sie gezielt den Kontakt zu Menschen, die selbst zwei¬sprachig sind oder ihre Kinder zweisprachig erziehen. Sie können kompetente Ratgeber sein, denn sie kennen die schönen und schwierigen Seiten zweisprachiger Erziehung. Der Austausch mit ihnen ist wohltuend – und Zweisprachigkeit in ihrer Gegenwart etwas ganz Normales. Kontakte zu anderen Personen, die die Nichtumgebungssprache sprechen, bzw. die in binationalen Ehen leben, können Sie z.B. über Auslandsgemeinden oder durch die Initiierung einer Eltern-Kind-Gruppe herstellen.

    – Schauen Sie, ob sich in Ihrer Nähe ein zweisprachiger Kinder¬garten befindet, in dem beide Sprachen Ihres Kindes gefördert werden. Die Dominanz der Umgebungssprache in einsprachigen Kindergärten und Schulen kann dazu führen, dass die Ihre Muttersprache für das Kind an Bedeutung verliert. In zweisprachigen Einrichtungen werden dagegen beide Sprachen des Kindes gleichberechtigt gefördert. Zudem ergeben sich hier Kontakte zu anderen zweisprachig erziehenden Eltern und es bieten sich Möglichkeiten fachkompetenter Beratung. Leider gibt es bisher nur wenige zweisprachige Kindergärten und Schulen, und Ihre Möglichkeiten, dies zu beeinflussen, sind begrenzt. Sie können es dennoch versuchen, z.B. durch das Engagement in einer Elterninitiative bzw. durch die Wahl des Wohnortes in Nähe einer entsprechenden Einrichtung. Wenn Sie nur einsprachig ausgerichtete Kindergärten zur Ver¬fügung haben, dann fragen Sie vor Anmeldung Ihres Kindes gezielt nach, wie dort mit Zweisprachigkeit umgegangen wird.

    – Gehen Sie mit Ratschlägen kritisch um. Auch, wenn Ihnen jemand gebildeter erscheint als Sie, heißt das nicht automa¬tisch, dass diese Person über alle Prozesse der zweisprachigen Ent¬wicklung und Erziehung gut informiert ist. Denken Sie immer daran, dass letztendlich Sie selbst die Expertin für die zweisprachige Entwicklung und Erziehung ihres Kindes unter ihren individuellen Rahmenbedingungen sind. Niemand kennt diese so gut wie sie selbst – lassen Sie sich daher auf keinen Fall durch pauschale Urteile („Sprechen Sie mit Ihrem Kind doch besser Deutsch...“) verunsichern!

    – Unterstützen Sie den Spracherwerb Ihres Kindes von Geburt an! Gesunde Kinder erwerben Sprache quasi von selbst. Sie brauchen dafür keine gezielte Förderung. Von entscheidender Bedeutung ist jedoch ein Umfeld, in dem Sprache eine wichtige Rolle spielt. Sie als Eltern haben somit die größte Verantwortung für die sprachliche Entwicklung Ihrer Kinder! Sie können die sprachliche Entwicklung Ihres Kindes am besten unterstützen, indem Sie von Geburt an mit ihnen kommunizieren, durch Sprache, Gestik und Mimik, spielerisch mit Sprache umgehen, Spaß an Sprache haben und vermitteln, viele Gespräche mit ihren Kindern führen und ein gutes sprachliches Vorbild bieten.

   
    Dr. Anja Leist-Villis erforscht seit Jahren die Prozesse zweisprachiger Entwicklung und Erziehung. Sie führt regelmäßig Fortbildungen und Elternabende zu diesem Thema durch. Sie ist Autorin der Site www.zweisprachigkeit.net und www.sprachfoerderung.info und des Buches: Elternratgeber Zweisprachigkeit. Informationen und Tipps zur zweisprachigen Entwicklung und Erziehung von Kindern. Stauffenburg Verlag,