Die Gaste, SAYI: 21 / Mart-Nisan 2012

Reflexionen zu den Werbespots
von RTL
„Sag es auf Deutsch“
[RTL’nin
Almanca Söyle” Reklam Kampanyasýna Yönelik Düþünceler]


Prof. Dr. Hans-Peter SCHMIDTKE
(Carl von Ossietzky Universität Oldenburg)



    Unter dem Motto „Sag es auf Deutsch“ hat der Privatsender RTL vor geraumer Zeit eine Kampagne gestartet, bei der weitgehend bekannte „Ausländer“, besser gesagt „Deutsche wie andere Deutsche, aber mit Migrationshintergrund“, „Prominente“ aus Kultur und Sport für den Gebrauch der deutschen Sprache in Deutschland werben. Selbstverständlich! Wenn jemand wie Semir von der Autobahnpolizei deutscher Beamter sein will oder Schauspieler, der Erdoðan Atalay in Wirklichkeit ist, sollte er schon die deutsche Sprache beherrschen. Semir tut es,denn Erdogan Atalays Muttersprache ist Deutsch, und auch wenn sein Vater aus der Türkei immigriert ist und der Name es vermuten ließe, Türkisch spricht er (nach Wikipedia) nicht.
    Nun, es wird ohnehin auch nicht jeder Jugendliche mit Migrationshintergrund, nicht jeder deutsche „Namenstürke“ soweit kommen, dass er sich einen solchen Berufswunsch erfüllen könnte. In Berlin wiesen im Jahre 2010 etwa 9% der Bewerberinnen und Bewerber für den Polizeidienst einen Migrationshintergrund auf, in Niedersachsen waren es allerdings nur etwa 2%. laut Tagesspiegel Politik vom 26. 07. 2011. Der niedrige Prozentsatz an Polizisten oder auch an Lehrkräfte mit Migrationshintergrund hat in erster Linie nichts mit der fehlenden Attraktivität der beiden Berufe zu tun. Um in den Polizeidienst zu kommen müssen die jungen Leute zumindest das Fachabitur vorweisen. Für den Lehrerberuf ist das Abitur erforderlich, und damit reduziert sich die Zahl derer ganz erheblich, die diese Hürden aufgrund ihres Schulabschlusses nehmen können.. Nach wie vor lassen die Schulleistungen insbesondere der Schülerinnen und Schüler mit türkischem Migrationshintergrund noch deutlich zu wünschen übrig.
    Als wesentlicher Grund für die schwachen Schulleistungen werden zumeist die zu geringen Deutschkenntnisse der Kinder angeführt. „Sag es auf Deutsch!“ – Setzen hier die Werbespots von RTL an? Sollen sie zu einer Verbesserung der Deutschnoten in den Schulen beitragen, indem sie Eltern und Lehrkräfte ersuchen, noch mehr Wert darauf zu legen, Deutsch als die allein wichtige Sprache in Deutschland zu gebrauchen, selbst wenn das Problem der niedrigen Schulabschlüsse schon seit langem als ein strukturelles Problem und nicht eins der fehlenden Deutschkenntnisse einzelner Schülerinnen oder Schüler (vgl. Z. B. die Analysen der PISA - Untersuchungen) erkannt wurde.
    In den freundlich gesagten vier kleinen Wörtern: „Sag es auf Deutsch!“: steckt m. E. der leise Vorwurf an die Eltern, mit Schuld an den fehlenden Deutschkenntnisse der Kinder zu tragen: Hättet ihr Migrationseltern euch an die Ratschläge gehalten und immer und überall alles auf Deutsch gesagt (so wie es sich in Deutschland auch gehört!) dann wären vielleicht die Noten eurer Kinder in den Schulen besser, die Förderschulquote geringer und die Abiturientenzahlen entsprechend höher. Aber die meisten Familien meinen wohl noch immer, dass sie zuhause ihre Muttersprache weitersprechen können, sollen, ja das dies sogar sinnvoll sei
    Die Werbespots bleiben in Bezug auf die Zielgruppe unspezifisch. Wenn die Eltern nicht die eigentliche Zielgruppe ausmachen, an wen richten sich die Spots dann? An die Kinder selbst? Dann wäre es sinnvoller, Kinder sprechen zu lassen. An Jugendliche, an junge Erwachsene, an solche Migrantinnen und Migranten, die schon lange hier wohnen und die sich längst mit ihren geringen Sprachkenntnissen arrangiert haben? Die Frage lässt sich nicht beantworten, weil auch die Darstellerinnen und Darsteller der Spots unterschiedliche Gruppen repräsentieren. Ich gebe zu, ich kenne sie nicht alle, weder die Spots noch deren Darsteller, und nicht allen sieht man ihren Migrationshintergrund an. Ist vielleicht auch nicht wichtig, denn die Botschaft „Sag es auf Deutsch!“ soll ja im Mittelpunkt stehen und die könnte auch von deutschen Politikerinnen und Politiker sicherlich genau so gesagt werden.
    Ein kurzer Blick in die Geschichte der Einwanderung kann zu Klärung der immer noch geringen Deutschkompetenzen vieler schon seit Jahren in Deutschland lebender Migrantinnen und Migranten beitragen. Vor mehr als 50 Jahren wurden die ersten „Gastarbeiter“ in ihren Herkunftsländern in Kooperation mit der Bundesanstalt für Arbeit angeworben. Noch bis zum Jahre 2005, der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes, galt der Grundsatz: der Bund- und Länderkommission von 1977 „Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland. Sie versteht sich als ein Aufenthaltsland für Ausländer, die in der Regel nach einem mehr oder weniger langen Aufenthalt aus eigenem Entschluss in ihre Heimat zurückkehren.“, auch wenn die Wirklichkeit spätestens seit den neunzehnhundertachtziger Jahren längst eine andere war. Man ging nicht von einer dauerhaften Einwanderung aus, so dass gezielte Sprachkurse unterblieben, die über das eben Notwendigste hinaus gingen, um sich in den Betrieben zu verständigen. Die Eingewanderten arrangierten sich im Laufe der Jahre mit dem Wenigen und lernten, in ihrer Umgebung, oft getrennt von der einheimischen Bevölkerung damit zurechtzukommen,
    Von Beginn der Einwanderung an war die Möglichkeit des Familiennachzugs vorgesehen, so dass schon seit Mitte der neunzehnhundertsechzige Jahre auch die Schulen die Veränderungen in der Bevölkerung zu spüren bekamen. Gerade in der zweiten Generation war aber die Bereitschaft Deutsch zu lernen, besonders hoch, nur die Halbherzigkeit der Einwanderungs- und Integrationspolitik bei gleichzeitiger Zunahme von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit besonders seit den 1990er Jahren, dazu die geringen Erfolgschancen in den Schulen ließen bei vielen Eltern und Kindern die Bereitschaft sinken, sich mit ihrer vollen Kraft auf den Integrationsprozess einzulassen. Notwendig wären strukturelle Änderungen im Schulsystem. Leider lassen die sich nicht durch Werbespots für die deutsche Sprache herbeireden.
    Dennoch, Recht haben die Spots es besteht kein Zweifel daran, dass eine erfolgreiche Berufskarriere in Deutschland nur über einen guten, hochwertigen Schulabschluss erreichbar ist, und ein solcher hat gute Deutschkenntnisse als Grundvoraussetzung. Da stimme ich mit Frau Staatsministerin Böhmer und den Sprechern der Spots überein, Sie sind jedoch nicht die alleinige Bedingung, über die ein Schulerfolg garantiert würde. Es kann eigentlich in den Spots ja nicht gemeint sein, dass die Kinder ihre Bilingualität, die sie den anderen nicht Migrantenkindern voraus haben, zugunsten des Deutschen verkümmern lassen sollen, nur weil das deutsche Schulsystem noch keine adäquate Form gefunden hat, diese besondere Fähigkeit in den Unterricht einzubeziehen und entsprechend zu bewerten (vgl. z. B. meinen Beitrag: Almanca mý, Anadili mi? Hayýr: Almanca ve Anadili! Die Gaste, Saayu: 12/ Mayas-Haziran 2010, S. 5 – 6).
    Es ist es nicht unbedingt erforderlich, dass Eltern zwei erschiedene Sprachen, eine Sprache der Migration und Deutsch, repräsentieren und sie mit ihrem Kind sprechen, damit sie zur vollen Zwei- oder Mehrsprachigkeit gelangen, es genügt, wenn das Kind über genügend Außenkontakte verfügt, genügend Möglichkeiten hat, die zweite Sprache zu hören und hinreichend Gelegenheiten, sie auch im spielerischen Kontakt mit den anderssprachigen Kindern zu gebrauchen. Es ist aber unabdingbar, dass die Eltern mit ihrem Kind schon von Geburt an möglichst viel sprechen. Den Eltern muss klar werden, dass die Muttersprache und ein Bewusstsein für Sprache allgemein desto stärker ausgebildet werden, je mehr mit den Kindern gesprochen, je mehr ihnen vorgelesen wird, je mehr sich Sprachsituationen zum aktiven Gebrauch der eigenen Sprache quasi natürlich aus den alltäglichen Situationen heraus ergeben. Ohne Frage müssen die Kinder mit anderer Muttersprache mehr lernen als andere. Es wird von ihnen erwartet, dass sie sich in zwei Sprachsystemen nicht nur oberflächlich zu Recht finden, sondern dass sie sie am Ende nahezu so beherrschen wie die nur einsprachigen Kinder, und sie können dies leisten.
    Hier müssen Eltern selbst oft noch lernen, welchen hohen Wert die Sprache hat. Sie sollten immer wieder neu - vielleicht durch geeignete Werbespots in ihrer Sprache – ermuntert werden, jede Gelegenheit zu nutzen, um mit ihren Kindern zu sprechen, Geschichten zu erzählen, Witze zu machen und ganz viel vorzulesen – natürlich in der Muttersprache. Die Aufforderung: „Sag es auf Deutsch!“ könnte von Eltern anderer Muttersprache ansonsten nur dazu führen, dass sich bei den Kindern ein fehlerhafter Wortgebrauch, grammatische Regelwidrigkeiten oder eine falsche Aussprache einprägen. Für die deutsche Sprache sind die deutschsprachige Umgebung und die Bildungseinrichtungen zuständig.
    Ein Kind, mit dem zuhause viel gesprochen wird, das mit seinen Fragen die nötige Beachtung seiner Eltern findet, sich an Gesprächen auch der Erwachsenen beteiligen darf, dessen eigene Ideen und Theorien von Welt in all ihrer Vorläufigkeit dennoch Wertschätzung erfahren,, bekommt nicht nur einen tieferen Sinn für Sprache, sondern es gewinnt eine bessere Kenntnis über die Welt, die es umgibt und ein großes Maß an Selbstvertrauen und Selbstsicherheit. Wenn ein Kind so ausgestattet ist, wird es kaum Schwierigkeiten haben, auf andere Kinder zuzugehen, mit ihnen zu spielen, auch wenn es zunächst deren Sprache noch nicht kennt, sie noch nicht versteht. Selbstverständlich können die Kindertagesstätten dabei von besonderem Wert sein.
    In der neuesten Analyse des Statistischen Bundesamtes diesen Jahres wird dargelegt, dass insbesondere die ein- und zweijährigen Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund nur etwa halb soviel (14 % gegenüber 30 %) die KiTas besuchen oder von Tagesmüttern betreut werden wie Kinder anderer Familien. Sicherlich wird auch hier eine Möglichkeit vergeben, schon die Kleinsten dichter an die deutsche Sprache heranzuführen.
   
    Was wäre zu tun?
    Mehrfach ist darauf hingewiesen worden, dass strukturelle Veränderungen im Elementarbereich und in den Schulen dringend notwendig sind, um auf die spezifischen Bedürfnisse mehrsprachiger Kinder, Kinder mit geringeren Deutschkenntnissen besser eingehen zu können. Die seit langem geforderte Ausweitung von Ganztagsschulen könnte ebenso eine Maßnahme sein, wie der Ausbau von Gesamtschulen. Im Elementarbereich hat Rheinland Pfalz als erstes Bundesland die Gebühren für den Elementarbereich abgeschafft, womit eine Hürde abgebaut wurde. Der weitere Ausbau an Krippenplätzen wird derzeit massiv finanziell unterstützt, was zu begrüßen ist. In Bezug auf den Sprachlernprozess ist das in Aussicht gestellte Betreuungsgeld für die Kinder im heimischen Umfeld eher fragwürdig.
    Die gut gemeinten Werbespots: „Sag es auf Deutsch!“ vermitteln eine fragwürdige Botschaft, weil sie in keinem der mir bekannten Spots auch auf den Wert der Muttersprachen der Migrantinnen und Migranten und ihrer Kinder hinweisen. Sinnvoller wären hier zu Verbesserung der Deutschkenntnisse Spots, die die Bedeutung der Sprache herausstellen:
    „Sprich mit Deinem Kind in Deiner Muttersprache!“ „Lies Deinem Kind in Deiner Muttersprache vor, bestenfalls jeden Tag. Es kann nie zuviel werden!“
    „Schau gemeinsam mit deinen Kindern nicht nur Kindersendungen in deiner Muttersprache, sondern auch in der deutschen Sprach und sprich darüber (in der Muttersprache)!“
    „Lass Dein Kind zu Wort kommen!“ „Antworte deinem Kind immer, wenn es Fragen hat!“ „„Sprich mit Deinem Kind über seine Vorstellungen von der Welt, auch wenn sie dir noch so dumm erscheinen!“
    „Schicke Dein Kind in den Kindergarten, denn es braucht früh die Kontakte zu deutschsprachigen Kindern, damit es seine Zweisprachigkeit auf hohem Niveau entwickeln kann!“
    Ich könnte mir derartige Werbespots sogar mit denselben Künstlern sehr gut vorstellen, am besten zweisprachig, soweit sie dazu in der Lage sind,.