ÝKÝ AYLIK TÜRKÇE GAZETE
DÝL VE EÐÝTÝMÝ DESTEKLEMEK ÝÇÝN ÝNÝSÝYATÝF
(Initiative zur Förderung von Sprache und Bildung e.V.)
ISSN 2194-2668


Die Gaste, Ausgabe 21 / März-April 2012

Europäische Modelle für bilinguale Ausbildung
[Ýkidilli Eðitimde Avrupa Modelleri]


Prof. Dr. Elin FREDSTED
(Universität Flensburg)


    Im Jahr 1993 erschien das Buch European Models of Bilingual Education mit Beatens Beardsmore als Herausgeber; damals war es ein Pionierwerk. In den vergangenen knapp 20 Jahren hat der Bereich bilingualer Unterricht sehr viel Aufmerksamkeit für sich gewinnen können, so dass die Forschungsliteratur zu dem Thema weltweit jetzt fast unüberschaubar geworden ist. Auch gibt es seit 1998 eine eigene Zeitschrift für bilinguale Ausbildung, nämlich International Journal of Bilingual Education and Bilingualism sowie Standardwerke in großen Auflagen wie beispielsweise Colin Baker Foundation of Bilingual Education and Bilingualism, das 2006 in der 4. Edition erschienen ist.

    Das gestiegene Interesse hat natürlich sehr viele Gründe: Zu erwähnen ist erstens die Globalisierung bzw. Internationalisierung und die Rolle des Englischen als internationale lingua franca, so dass Englisch in vielen Ländern (nicht nur in den ehemaligen englischen Kolonien) die Rolle einer Zweitsprache einnimmt, so z.B. in den skandinavischen Ländern. Zweitens spielt die Migration eine große Rolle. Dadurch sind neue Sprachgemeinschaften entstanden, die einen erheblichen Teil der Bevölkerung in vielen urbanen Regionen Europas ausmachen und schon jetzt ein Recht auf bilingualen Unterricht einfordern und dies sicherlich in Zukunft noch nachhaltiger tun werden. Aber drittens spielt auch die freie Mobilität der Arbeitskräfte innerhalb der Europäischen Union eine zunehmende Rolle: so bilden zurzeit die Deutschen die zweitgrößte Einwanderungsgruppe in Dänemark – nach den türkischen und vor den polnischen Staatsangehörigen.

    In diesem Artikel soll es jedoch nicht um Einwanderung oder um Ausbildungsfragen im Allgemeinen gehen. Hier sollen Sprachkonzepte dargestellt werden, die in Verbindung mit konsequenter bi- oder multilingualer Ausbildung Anwendung finden. Dabei werde ich hauptsächlich auf das Konzept der Europaschulen eingehen, aber auch ganz kurz Sprachimmersionskonzepte erwähnen.

    Das Sprachkonzept der Europaschulen wird oft als vorbildlich und als besonders erfolgreich dargestellt. Zugegeben: es ist wahrscheinlich auch das kostenintensivste schulische Sprachkonzept überhaupt. Das heißt aber lange nicht, dass sich Elemente aus diesem Konzept nicht auf andere Schulen übertragen und - bei einer geringeren Zahl der zu unterrichtenden Sprachen - kostengünstiger realisieren lassen. Deswegen lohnt es sich auf alle Fälle, sich mit diesem Sprachkonzept zu beschäftigen.

    Vorzugsweise in der geographischen Nähe von supra-nationalen europäischen Institutionen sind seit 1953 insgesamt 14 Europaschulen errichtet worden, deren ursprüngliches und immer noch primäres Ziel es ist, den Kindern der im Ausland stationierten Mitarbeitern zu ermöglichen, ihre Ausbildung in der Muttersprache (im Folgenden als Erstsprache/L1 bezeichnet) zu erhalten bei gleichzeitiger Erziehung in einem europäischen Geist und der Vermittlung von mindestens zwei europäischen Fremdsprachen. Im Prinzip sind alle im Schulprogramm angebotenen Sprachen und Kulturen gleichwertig und gleichgestellt. Alle Schüler/innen haben gleiche sprachliche Rechte und werden durch den gleichen Übergang von Unterricht in der Erstsprache zu Unterricht in einer Fremdsprache geleitet, und gerade in diesem graduellen Übergang liegt meiner Meinung nach eine Stärke des Konzepts.

    Wenn die Kinder eingeschult werden, bildet ihre Erstsprache (L1) die Grundlage für den Unterricht, während ihre Kompetenz in einer zweiten Sprache (im Folgenden L2 benannt) durch Sprachunterricht aufgebaut wird. Der Schriftspracherwerb findet in der Erstsprache des Kindes statt. Allmählich reduziert sich die Bedeutung der Erstsprache als Unterrichtsmedium im Laufe der Schulzeit, wird jedoch nie ganz aufgegeben. Der Übergang zum Unterricht in einer Fremdsprache wird graduell aufgebaut: Er bewegt sich von kognitiv und sprachlich weniger anspruchsvollen und hoch kontextualisierten Tätigkeiten (wie z.B. Sport) zu kognitiv und sprachlich anspruchsvolleren und kontextreduzierten Aktivitäten. Das Curriculum zeigt hier drei Phasen: 1) Die erste Fremdsprache (L2) wird als Unterrichtsfach eingeführt, während die Erstsprache sonst generell als Unterrichtsmedium dient. 2) Die Fremdsprache wird in authentischen Situationen als Unterrichtsmedium verwendet und zwar in Fächern (wie z.B. Sport, Kunst oder Musik), in denen die Sprache nicht die entscheidende Rolle spielt und in denen der non-verbale Kontext das Verstehen unterstützt. 3) Die Fremdsprache wird als Unterrichtsmedium in sprachlich und kognitiv anspruchsvolleren Fächern verwendet, wie beispielsweise Geschichte, Biologie und Geographie. Die nächsten Fremdsprachen (L3 und eventuell L4) werden in gleicher Weise eingeführt.

    Im Unterschied zu vielen Immersionsprogrammen (wie sie z.B. in Kanada durchgeführt worden sind) werden durch das ganze Curriculum die Fremdsprachen unterrichtet, um den grammatisch korrekten Sprachgebrauch und die lexikalische Präzision zu fördern. Während die Immersionsschulen vor allem auf den Spracherwerb durch den Sachunterricht vertrauen (vgl. die Inputhypothese von Krashen 1981), fahren die Europaschulen zweigleisig: Es fängt mit dem Unterricht in der Fremdsprache an, bevor diese Sprache als Unterrichtsmedium eingesetzt wird. Danach sollen sich Spracherwerb im Sachunterricht und Sprachunterricht ergänzen, um ein gutes kommunikatives Niveau verbunden mit einem hohen Maß an sprachlicher Korrektheit zu gewährleisten.

    Der Spracherwerb (sowohl in der Erstsprache als auch in Verbindung mit dem Fremdsprachenerwerb) erhält somit einen sehr hohen Stellenwert im Schulprogramm: erstens ist es die Intention der Schule, dass alle Schüler/innen eine ‚große’ europäische Fremdsprache (Englisch, Französisch oder Deutsch) bis zum Abitur durchführen (L2). Allerdings darf z.B. ein Kind aus der deutschen Sektion nicht Deutsch, sondern muss Englisch oder Französisch wählen, wogegen z.B. ein dänisches Kind zwischen den drei Sprachen als L2 frei wählen kann. Außerdem müssen die Schüler/innen ab der siebten Jahrgangsstufe eine zweite Fremdsprache (L3) belegen, die aus allen an der Schule vertretenen Sprachen ausgewählt werden kann. Ab der neunten Jahrgangsstufe kann noch eine dritte Fremdsprache (L4) gewählt werden. Außerdem gibt es Altgriechisch und Latein als Wahlfächer. In den Abschlussprüfungen werden mündliche und schriftliche Prüfungen in der Erstsprache (L1) und in der ersten Fremdsprache (L2) abgelegt.

    Die Lehrkräfte der modernen Fremdsprachen werden so eingesetzt, dass sie die zu unterrichtende Fremdsprache als Erstsprache haben, also sog. native speakers sein müssen. Eine sehr hohe Kompetenz von Seiten der Lehrkräfte ist wichtig gerade in Schulen, in denen mehrere Sprachen als Unterrichtsmedium verwendet werden. In zahlreichen anderen bilingualen Sprachprogrammen ist dies leider nicht immer der Fall und vermindert den Stellenwert der Lehrkraft als sprachliches Rollenmodell für die Schüler (vgl. z.B. den sog. ‚bilingualen Unterricht’ auf English in Schulen in Deutschland). Besonders in Fällen, in denen ein eklatantes non-nativeness eines Dozenten auf muttersprachenähnliche Kompetenzen eines Schülers mit mehrsprachigem Hintergrund trifft, kann dies zu einem direkten Missverhältnis führen.

    Der Fremdsprachenunterricht der Europaschulen unterscheidet sich wohl im Prinzip kaum von anderen Schulformen. Jedoch gibt es gleichzeitig im selben Gebäude Mitschüler, die diese Sprache als Erstsprache sprechen, so dass genuine Kommunikationsmöglichkeiten mit gleichaltrigen native speakers immer vorhanden sind und nicht erst durch Klassenfahrten oder Schulpartnerschaften geschaffen werden müssen. Dies wirkt ohne Zweifel sehr motivierend und fördert die kommunikative Kompetenz. Interessant ist auch das Prinzip, dass die Lernergruppen im Fremdsprachenunterricht aus allen vertretenen europäischen Nationen bestehen. So wird auch einer sprachlichen Gettoisierung Einhalt geboten. Um die Interaktion zwischen den Schüler/innen mit unterschiedlichem sprachlichem und kulturellem Hintergrund von Anfang an zu fördern, gibt es in den Klassenstufen 3-5 einmal wöchentlich the European Hour, bei der es nicht darum geht, Sprachen zu vermitteln, sondern (in der gewählten L2) die europäischen Kulturen und Identitäten kennen zu lernen. In den höheren Jahrgangsstufen werden immer mehr Fächer in gemischten Gruppen der verschiedenen Nationalitäten und Sprachen unterrichtet.

    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Konzept von einem sprachdidaktischen Gesichtspunkt heraus sehr durchdacht ist. Vor allem ist die konsequente und graduelle Einführung der Fremdsprachen ein Konzept, das Nachahmer reizen sollte! Kritisch ist jedoch zu bemerken, dass der Gleichheit der Sprachen doch Grenzen gesetzt sind: Nur die Sprachen Englisch, Französisch und Deutsch können als L2 gewählt werden.

    Zunächst bleibt festzuhalten, dass die Quote der Absolvent/innen der Europaschulen sehr erfolgreich aussieht: Mehr als 22.000 Schüler/innen waren 2007 in den 14 Schulen angemeldet. Von ihnen waren 1491 zur Abiturprüfung angemeldet. 98% von ihnen haben die Prüfung, the European Baccelaureate, bestanden.

    Schließlich muss man auch die Frage stellen, ob das Sprachkonzept der Europaschulen in der Praxis besser als andere Sprachkonzepte funktioniert?

    Meines Wissens gibt es wenige Studien in Europa zum Thema Effizienz bilingualer Sprachkonzepte, was eigentlich verwunderlich ist. In einer Studie aus dem Jahr 1985 vergleichen Beardsmore & Swain den Sprachstand in Französisch als L2 in kanadischen Immersionsprogrammen mit der Europaschule in Brüssel. „Standardised test results revealed that highly comparable scores were obtained by the European children after approximately 1300 classroom contact hours with the language and Canadian immersion children after approximately 4500 contact hours.” (Beardsmore 1993: 147-48). Beardsmore unterstreicht, dass diese Zahlen nicht als ein Beweis dafür dienen können, dass das eine Konzept besser als das andere ist. Im Gegenteil demonstriert der Vergleich eher, wie schwierig es ist, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, da die Schüler in Brüssel wesentlich mehr Gelegenheit haben, außerhalb der Schule ihre Französischkenntnisse auszubauen. Andererseits ist Beardsmore nicht der einzige, der feststellt, dass Immersionsprogramme, die sehr stark ausschließlich auf Kommunikation im Sachunterricht in der Zielsprache vertrauen, doch sehr zu wünschen übrig lassen, wenn es um grammatische Korrektheit geht. Hier zeigt sich wohl doch, dass Spracherwerb und Sprachunterricht in Kombination eine bessere Lösung darstellt.