Vor ein paar Jahren schrieb ich einen Beitrag für eine Publikation zum Thema „Migration im Film oder: Ratlos gegen die Wand?“ , in dem ich mich nach langer Zeit mal wieder zum Thema Migration und Medien öffentlich - in publizierter Form - äußerte!
Dieser Beitrag blieb publizistisch und medienpolitisch folgenlos, obwohl die mediale Integration ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger weiterhin schleppend voran geht. Die Ursachen sehe ich als Medienwissenschaftler, Hochschulleiter und Medienpädagoge in sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen und medialen Entwicklungen, von denen ich einige hier kurz skizzieren möchte:
– der in der Bundesrepublik dominierende Mediendiskurs orientiert sich - wenn überhaupt - vorrangig an Themen der Gewaltsozialisierung durch Medien, der Medienkonzentration, den rechtlichen Bestandsgarantien für ein duales Mediensystem, den möglichen Geschäftsfeldern in den Onlinemedien etc., der medienkulturelle und damit auch medienintegrative Diskurs ist weitgehend zu einem Thema von „Anlassreden“ geworden;
– die Produktion von Bewegtbildmedien orientiert sich stärker als bisher an nationalen bzw. regionalen Spezifika: die (deutschen) Film- und Fernsehproduktionen suchen zwar immer häufiger internationale Drehorte; die dabei erzählten Geschichten bleiben aber weitgehend national bzw. regional (als aktuelle Beispiele seien hier genannt: Ich bin ein Star, holt mich hier raus! Das Traumschiff, Tatort, Polizeiruf 110, DSDS etc.)
– die Vermehrung der Distributionschancen in eine digitale Unendlichkeit verhindert zunehmend den multikulturellen Dialog, die kulturelle Regionalisierung und ethnische Spezialisierung der Medienangebote verhindert häufiger als früher einen interkulturellen Diskurs;
–die Internationalisierung und gleichzeitig ethnische Spezialisierung der in bestimmten Staaten zur Verfügung stehenden Medienangebote ermöglicht immer wieder den medialen Rückzug auf die eigene ethnische Gruppe;
–die hier skizzierten differenzierten Medienerfahrungen von Heranwachsenden aus in Deutschland lebenden unterschiedlichen ethnischen Gruppen erschwert eine einheitliche Film- und Medienbildung für sie.
Ich möchte diese fünf Themen im Folgenden etwas ausführlicher beschreiben und diskutieren.
1. Film-und Medienbildung als Herausforderung und interkulturelle Aufgabe
Das Thema ist so alt wie die Medien selbst, bereits Platon hat vor mehr als zwei Jahrtausenden sich zu diesem Thema geäußert:
„Sollen wir es also so leicht hingehen lassen, dass die Kinder ganz beliebige Märchen und von ganz Beliebigen erfundene anhören und so in ihrer Seele Vorstellungen aufnehmen, die meistenteils denen entgegengesetzt sind, welche sie, wenn sie erwachsen sind, unserer Meinung nach werden haben sollen? - Das wollen wir keineswegs hingehen lassen. Zuerst also, wie es scheint, müssen wir Aufsicht führen über, welche Märchen und Sagen dichten, und welches Märchen sie gut gedichtet haben, dieses einführen, welches aber nicht das ausschließen„ (PLATON).
Ich habe dieses Zitat sehr häufig in medienpädagogischen Referaten und Publikationen genutzt, weil es sehr anschaulich das Problem von Freiheit der Kunst einerseits und gesellschaftlicher Verantwortung andererseits zeigt.
Es passt in unsere Debatten um Gewalt in den Medien und um deren Erforschung, um Wirkungsvermutungen und –belege, um den Jugendmedienschutz und um Medienkompetenz.
Ein anderes Zitat, das andere und ich ebenfalls gern verwendet haben: „Die Jugend liebt heute den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor älteren Leuten und plaudert, wo sie arbeiten sollte“, wurde zwar immer Sokrates zugeschrieben, diese Zuschreibung konnte aber nicht belegt werden. Diese Verweise auf Sokrates (nicht belegt, belegt ist aber, dass Sokrates eine Art „Generationskonflikt“ beklagte) und Platon machen für mich zwei Probleme deutlich:
1. scheint es leicht, mit historischen Zitaten aktuelle Probleme zu beschreiben und gleichzeitig von den neuen Dimensionen der Problemlagen abzulenken;
2. Erziehungskonzepte haben sich seit Sokrates und Platon verändert, die Probleme scheinen aber ähnlich geblieben.
Was heißt deswegen Heute: „Aufsicht führen“ und was heißt heute „das (nicht gut gedichtete) ausschließen“?
„Aufsicht führen“: Gesetze und Verordnungen (z.B. Jugendmedienschutz-Staatsvertrag), Vereine, Gremien und Kommissionen (z.B. KJM, FSF, FSM, FSK, Rundfunkräte), sowie staatliche Einrichtungen (z.B. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften) und natürlich Pädagoginnen und Pädagogen und nicht zuletzt Eltern sein.
Die hier beispielhaft genannten „Aufsicht führenden“ können dies allerdings mit teilweise nur sehr unterschiedlicher Relevanz für die beaufsichtigten Medienproduzenten tun. Wobei sich diese Unterschiedlichkeit aus den differenzierten „Ausschlussmöglichkeiten“ ergibt: Die FSK, die FSF und die FSM können zum Beispiel gleichermaßen Altersgrenzen für bestimmte Angebote festlegen. Deren Durchsetzungsmöglichkeiten sind aber im Kino weit effektiver durchsetzbar als im Fernsehen oder im Netz. Das kann wiederum unterschiedlichen Konsequenzen solcher Ausschlussversuche für die Produzenten haben. Für den Produzenten eines Kinofilms kann ein bestimmtes Altersprädikat zu erheblichen Verlusten an der Kinokasse führen, während ein Fernseh- oder Spieleproduzent in der Regel davon weit weniger betroffen ist.
Deswegen muss m.E. die Gesellschaft auch stärker als bisher die Entwicklung medienkompetenter Kinder und Jugendlicher fördern, weil die Kinder und Jugendlichen in den modernen Mediengesellschaften nicht wirklich wirksam vor für sie falschen (ihre Entwicklung beeinträchtigenden) Angeboten geschützt werden können. Allerdings müssen für die dann medienkompetenten Kinder und Jugendlichen auch ausreichend qualitativ hochwertige Medienangebote zur Verfügung stehen.
Damit stellt sich die Frage nach den Inhalten einer wirksamen und realisierbaren Film- und Medienbildung.
Im Prinzip muss sich eine Film- und Medienbildung drei komplexen Fragen stellen:
1. Welche gesellschaftlichen Funktionen wollen und welche können Filme und andere Bewegtbildmedien in unseren Gesellschaften erfüllen?
2. Welche individuellen Funktionen können sie insbesondere im Kindes- und Jugendalter erfüllen?
3. Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten verlangt das kongeniale Erleben und Erfahren medialer/filmischer Welten?
Ich gehe also davon aus, dass die Wahrnehmung und die Interpretation von Bewegtbildmedien ebenso wie andere Kulturtechniken (z.B. Lesen und Schreiben) gelernt und erfahren werden muss. Das kann durch individuelle Selbsterfahrungsprozesse erfolgen - muss es aber nicht! - es kann im Familienverbund passieren - muss es aber auch nicht! - , es sollte aber nach meiner Auffassung in pädagogisch geleiteten Prozessen vermittelt werden.
Nur wenn die hier skizzierten Grundlagen für eine ästhetisch und sozial-ethisch gelingende Filmkommunikation bei Kindern und Jugendlichen entwickelt sind, können die unter 1. und 2. skizzierten gesellschaftlichen und individuellen Funktionen der kulturellen Bewegtbildmedien auch funktionieren.
Mit dieser Feststellung sollen keinesfalls die Bemühungen der öffentlich-rechtlichen und privaten Kinderprogrammanbieter (in Kino, Fernsehen und auf Webportalen) in Frage gestellt werden, aber das Lesen und Schreiben lernen kann auch nicht primär als Erfolg der seit ein paar Jahrhunderten verlegten Bilder- und Märchenbücher interpretiert werden.
Deshalb an dieser Stelle ein paar Anmerkungen zu den Medien, in denen Bewegtbildmedien von Kindern und Jugendlichen derzeit genutzt werden können. In den einschlägigen Studien zum Mediengebrauch von Kindern und Jugendlichen dominiert immer noch das Fernsehen als wichtigstes Bewegtbildmedium vor Onlinemedien und Computerspielen, das Kino ist aus den Alltagsmedien für die junge Generation in die Rolle eines Eventmediums für sie geschlüpft. In den aktuellen KIM- und JIM-Studien sieht das folgendermaßen aus:
– bereits Kinder sind mit den grundlegenden Medien zur Aneignung von Angeboten der für sie wichtigen/relevantem Bewegtbildmedien ausgestattet (Fernsehgerät, Computer, Handy, Kamera etc.);
– die stärkste Medienbindung gibt es weiterhin zum Fernsehen (68% könnten auf das Fernsehen am wenigsten verzichten), gefolgt bereits vom Computer/Internet mit 25%; bei den 12 bis 13jährigen hatte im Jahr 2010 der Computer bereits das Fernsehen knapp überholt: 41% zu 40%! Auf Bücher könnten nur 8% der 6- bis 13jährigen nicht verzichten.
– Auch in den Themeninteressen spielen die Medien eine wesentliche Rolle 76% sind an Musik, 65% an Computer/Onlinespielen, 63% an Kino und Filmen, 60% an Computer und Internet und 47% an Bücher und Lesen interessiert;
– Innerhalb der realen Freizeitaktivitäten dominieren bei den Kindern allerdings noch die klassischen Medien: Fernsehen (76% tägliche/fast tägliche Nutzung), Musik hören (40%), Handys nutzen (31%), Radio hören (25%), Computerspiele (16%), Computer nutzen (13%), Buch lesen (11%), Comics lesen (6%) und Zeitung lesen (2%) .
Bei den 12- bis 19jährigen ist die mediale Ausstattung bereits abgeschlossen und die medialen Gebrauchsmuster haben sich bereits weitgehend verfestigt, wie die folgenden Ergebnisse zeigen:
– Handys, Computer, Radio, Kameras und TV-Geräte gehören zur medialen Grundausstattung der jungen Leute und auch ein eigener Internetzugang gehört bei fast der Hälfte dazu;
– in der täglichen Mediennutzung ist die des Handys (80%), des Internets (65%) und des MP3 (64%) bereits am Fernsehen vorbei gezogen (60%). Das Radio (58%) bleibt ein wichtiges Jugendmedium und Tageszeitungen (28%) und Bücher (26%) zeigen, dass die Printmedien durchaus nicht aus dem Medienalltag der jungen Generation verschwunden sind. Wobei der Umstand, dass bereits 10% der Jugendlichen eine Tageszeitung und 5% Zeitschriften online nutzen, auf Veränderungen in den Trägermedien aufmerksam macht;
– Es verwundert nicht, dass bei dieser jungen Generation Internet und Handy als Medium bereits wichtiger geworden sind als das Fernsehen .
Eine Film- und Medienbildung muss die spezifischen medialen Vorlieben und Erfahrungen im Kindes- und Jugendalter natürlich berücksichtigen. Wobei berücksichtigen auch heißt, Erfahrungen zu thematisieren, die aus nicht altersgerechten Angeboten kommen. Der freie Zugang zu den Onlinemedien ermöglicht auch einen weitgehend freien und zeitunabhängigen Zugang zu allen Angeboten. Während das Kino eine personenbezogene Auswahl ermöglich (zu einem FSK 18 Film wird ein 12jähriger keinen Zutritt bekommen), das Fernsehen seinen Zugang über die Zeitprogrammierung und über Altersempfehlungen regelt, greifen diese zugangsregulierenden Maßnahmen bei den Onlinemedien nur bedingt. Die in der JIM-Studie ermittelten Daten zeigen dann auch, dass 18% der unter 13- und 38% der unter 15jährigen bereits brutale bzw. besonders gewalthaltige Computerspiele gespielt haben.
Herausforderungen für die Film- und Medienbildung resultieren aber auch aus der zunehmenden Internationalisierung der Medien, was auch bedeutet, aus den unterschiedlichen Auffassungen darüber, was Kindern und Jugendlichen zugemutet werden kann bzw. darf.
Insofern wird eine Film- und Medienbildung, die sich nur auf nationale oder regionale Mediengebote orientiert, wenig zielführend sein.
Literatur
1 Dieter Wiedemann in: Kai-Uwe Hugger/Dagmar Hoffmann: Medienbildung in der Migrationsgesellschaft. Bielefeld 2006, S. 93 - 101
2 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: KIM-STUDIE 2010
3 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: KIM-STUDIE 2010
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