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(Initiative zur Förderung von Sprache und Bildung e.V.)
ISSN 2194-2668


Die Gaste, Ausgabe 26 / März-April 2013

Hate Crimes
Ein Angriff auf die kulturelle Identität
[Nefret Suçlarý (Hate Crimes) Kültürel Kimliðe Saldýrý]


Prof. Dr. Michael FINGERLE / Dipl. Ped. Caroline BONNES
(Goethe Üniversitesi / Eðitimbilimleri Bölümü - Özel Pedagoji Enstitüsü)




Es ist ein trauriger Teil der Lebenswirklichkeit, dass Menschen mit Migrationshintergrund in ihrem Alltag Erfahrungen machen müssen, die für gewöhnlich unter Begriffen wie Ausländerfeindlichkeit, Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus zusammengefasst werden. Solche Anfeindungen richten sich weniger gegen die Eigenheiten einer individuellen Person, als vielmehr gegen die soziale Identität eines Menschen , gegen seine tatsächliche oder vermeintliche Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die als Ganzes abgelehnt wird. Es verwundert daher nicht, dass auch andere Bevölkerungsgruppen, z.B. Homosexuelle, von solchem Verhalten betroffen sind. Für Menschen mit Migrationshintergrund haben die jüngst als solche bekanntgewordenen Morde der rechtsradikalen „NSU“ gezeigt, dass solche Taten keineswegs immer auf eine vergleichsweise harmlose Ebene beschränkt sind.

Es gibt sowohl auf Ebene der EU als auch der OECD und anderer internationaler Organisationen, Bestrebungen, europaweit (und letztlich international) einheitliche Standards für die Erfassung und Strafverfolgung solcher Taten zu etablieren. Diese internationale Diskussion verwendet den Begriff „Hate Crime“, der sich mit „Hassverbrechen“ übersetzen lässt und ursprünglich in den USA geprägt wurde (während im Deutschen der Begriff „vorurteilsmotivierte Gewalt“ üblicher ist).

Ein Hate Crime bezeichnet Straftaten, die sich gegen eine Person oder Eigentum wendet, und die aufgrund der wahrgenommenen Gruppenzugehörigkeit des Opfers wurde. Die Motivation für die Tat sind Vorurteile des Täters gegenüber dieser Gruppe. Die Gewalttat richtet sich somit nicht nur direkt gegen die Person, sondern gegen die Gruppe, als deren Stellvertreter die Person gesehen wird.

Mit dem Begriff Hate Crime wird kein eigenständiger Tatbestand beschrieben, sondern es handelt sich um eine Kategorie von Verbrechen, die sich durch das vorurteilsgeprägt Motiv des Täters auszeichnen und sich dadurch von anderen Verbrechen unterscheiden. Bei Hate Crimes kann es sich um Einschüchterungshandlungen, Drohungen, Beschädigung von Eigentum, tätliche Angriffe, Mord oder jegliche andere Straftat handeln.

Der Täter wählt das Opfer aufgrund seiner (vom Täter wahrgenommenen) Gruppenzugehörigkeit aus. Die dadurch gesendete Botschaft soll nicht nur das eigentliche Opfer erreichen, sondern die gesamte Gruppe, der das Opfer angehört. Somit leidet unter Hate Crimes nicht nur das Opfer, sondern auch die Gruppe, die sich mit dem Opfer identifiziert.

Der gesellschaftliche Umgang mit Hate Crimes muss sich notwendigerweise auf verschiedenen Ebenen abspielen, sowohl auf der Ebene der Strafverfolgung, als auch auf den Ebenen der Prävention und der öffentlichen Wahrnehmung.

Die AutorInnen dieses Beitrages sind Projektpartner in einem von der Europäischen Union finanzierten Projektes zum Thema vorurteilsmotivierter Gewalt. Weitere Universitäten innerhalb des Projektes sind die University of Central Lancashire und die University of Gothenburg. Ziel des Projektes ist es, Vorschläge für EU-Richtlinien zu entwickeln, die dazu dienen sollen, vorurteilsmotivierter Gewalt vorzubeugen und den Opfern besser helfen zu können.

Ein wichtiges Thema ist hierbei das sogenannte Hate Crime Monitoring, ein System zur Erfassung entsprechender Strafverfolgungsdaten. Durch das Monitoring sollen möglichst exakte Informationen darüber gesammelt werden, wie häufig bestimmte Arten von vorurteilsmotivierter Gewalt in Deutschland vorkommen, wo sie stattfinden und wer als Opfer bzw. Täter involviert ist. Das Monitoring von Hate Crime bildet das Fundament, um die Situation in einzelnen Ländern und in der gesamten EU realistisch abbilden zu können und auf dieser Datenbasis politische Entscheidungen und eine öffentliche Diskussion anstoßen zu können.

Bei der Klassifizierung der Güte des Monitorings in einzelnen Staaten wird von der Europäischen Union zwischen eingeschränkten, guten und umfassenden Datensammlungen unterschieden (FRA 2012). Erstere Kategorie beschreibt Länder, wie z.B. Italien oder Bulgarien, in denen tatsächlich nur eine eingeschränkte Berichterstattung zu wenigen Vorfällen stattfindet. Deutschland gehört, zusammen mit z.B. Frankreich, Polen oder der Slowakei, zur mittleren Kategorie, da bereits ein gutes System für die Erfassung von Straftaten vorhanden ist (mit dem Schwerpunkt auf Rechtsextremismus) und die dazugehörigen Daten zumeist öffentlich publiziert werden. Länder wie England oder Schweden gehören zur dritten Kategorie mit umfassender Datensammlung. Jegliche Vorfälle, die mit vorurteilsmotivierter Gewalt zusammenhängen werden dort detailliert registriert und immer der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Die Herausforderung eines zuverlässigen und aussagekräftigen Monitorings benötigt jedoch auch ein Training der Polizei, um Hate Crimes erkennen und einordnen zu können, sowie auf Seiten der Opfer von Hate Crimes, es als solches zu erkennen und dementsprechende Hinweise an die Polizei weiter zu geben.

Im Jahr 2010 wurden in Deutschland 285 rassistisch motivierte, 1.166 antisemitisch motivierte und 20.811 extremistisch motivierte Hate Crimes registriert (FRA 2012). Aufgrund des historischen Hintergrundes wird in Deutschland der Schwerpunkt auf die Überwachung dieser Kategorien gelegt. Für ein umfassendes Bild wären jedoch auch Informationen zu Gewalt aufgrund religiöser Intoleranz oder Islamophobie notwendig genauso wie zu Gewalt die auf Vorurteilen gegenüber Menschen mit Behinderung oder unterschiedlicher sexueller Orientierung beruht.

Durch die sehr unterschiedlichen Monitoring-Standards werden z.B. in England sehr viel höhere Zahlen von vorurteilsmotivierter Gewalt angegeben (z.B. 31.486 rassistisch motivierte Vorfälle gegenüber 285 in Deutschland), wodurch ein Vergleich der Situation in den EU-Ländern untereinander und darauf basierende politische Entscheidungen und Maßnahmen nicht möglich sind. Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der vorurteilsmotivierten Gewalt- und Straftaten in Deutschland um vieles höher liegt.

Es gibt Hinweise, dass in Europa insbesondere gefährdete Minderheiten, wie z.B. Einwanderer, Flüchtlinge und Asylsuchende oft Opfer von rassistischer Gewalt und Diskriminierung seitens Polizeibeamten sowie Einwanderungs- und Grenzbeamten werden (FRA 2007). Dem gegenüber stehen jedoch auch positive Berichte von EU Mitgliedsstaaten, in denen sich die Polizei bemüht, das Vorgehen gegen rassistisch motivierte Gewalt- und Straftaten zu verbessern, die Vorfälle genau zu erfassen und besser auf die Opfer einzugehen.

Im Rahmen des Projektes führten die AutorInnen eine Onlinebefragung zum Thema vorurteilsmotivierte Gewalt durch. Mit Hilfe der Befragung sollen Hintergrundinformationen über die Bedürfnisse von Menschen erhoben werden, die von Hate crimes betroffen sind oder betroffen sein könnten. Des Weiteren soll die Umfrage darüber Aufschluss geben, welche Unterstützung und welche Einstellungen dabei helfen können, um sich von den Folgen einer solchen Erfahrung erholen zu können. Im Folgenden möchten wir gerne ausgewählte Ergebnisse präsentieren.

Insgesamt konnten wir bisher 632 Menschen verschiedener Gruppenzugehörigkeiten befragen, von denen 61,5 % angaben, schon einmal Opfer eines Hate Crimes gewesen zu sein. Hierzu gehörten unter anderem Menschen mit Behinderung, verschiedener sexueller Orientierung, verschiedener Religionen, verschiedener ethnischer Hintergründe sowie Angehörige verschiedener Subkulturen (z.B. Gothics, Punks oder Emos) Zu den häufigsten Vorfällen zählten Körperverletzung, Beleidigung, Bedrohung und Belästigung.

Bei der Frage, ob es ein spezielles Hate Crime Gesetz in Deutschland geben sollte, antwortete die Mehrheit der Befragten (67 %) mit ja bzw. eher ja. Bezüglich der Frage, ob ein Hate Crime Gesetz die Möglichkeit geben sollte, das Strafmaß zu erhöhen, antwortete wiederum die Mehrheit der Befragten (61,7 %) mit ja bzw. eher ja. Den Sinn eines Hate Crime Gesetzes sahen die Befragten am ehesten in der Abschreckung potentieller Täter und als Signal für politische Umsetzungen.

Ein weitere, nicht zu vernachlässigende Ebene sind Maßnahmen der Prävention und der Unterstützung von Opfern. In Deutschland gibt es verschiedene Anlaufstellen, die Beratung und Unterstützung für Opfer anbieten in Bezug auf Informationen zu finanziellen Entschädigungsmöglichkeiten, der Vorgehensweise bei der Meldung des Vorfalls bei der Polizei und Unterstützung bei der Suche nach einem Rechtsanwalt.

In unsere Studie nannten die meisten Betroffenen auf die Frage, was ihnen bei der Bewältigung eines Hate Crimes geholfen hat, ihr soziales Umfeld (Freunde, Familie, Partner), Zeit, professionelle Hilfe (Therapeuten, Trainings, etc.) und die eigene innere Stärke. Eine nicht unwesentliche Rolle scheint aber auch eine positive Identifikation mit der eigenen Gruppe gespielt zu haben. Das ist durchaus ein interessanter Befund, denn er zeigt, dass das kollektive Bild, das diese Zielgruppen von Gewalt von sich selbst haben - seien es nun Menschen mit Migrationshintergrund oder andere Gruppen - für die Auseinandersetzung mit den Taten bedeutsam ist. Ein positives kollektives Selbstbild hilft nicht nur den einzelnen Opfern bei der Bewältigung, sondern ermöglicht auch die Teilnahme am politischen Diskurs, ohne den letztlich Gesetzgebungsinitiativen und die Finanzierung von Präventionsprogrammen und Unterstützungssystemen nicht in Gang kommen.


    DFK (Deutsches Forum Kriminalprävention) 2003: Maßnahmen zur Kriminalitätsprävention im Bereich Hasskriminalität unter besonderer Berücksichtigung primärer präventiver Maßnahmen. http://www.kriminalpraevention.de/downloads/as/gewaltpraev/hatecrime/Massnahmen.pdf
    FRA (European Union Agency for Fundamental Rights) 2012: Making hate crime visible in the European Union. Acknowledging victims’ rights. http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra-2012_hate-crime.pdf
    FRA (European Union Agency for Fundamental Rights) 2012: Bericht über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in den Mitgliedsstaaten der EU. http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/11-report_racism_0807_de.pdf
    OSCE (Organization for Security and Co-operation in Europe) 2009: Gesetze gegen „Hate Crime“. Ein praktischer Leitfaden. http://www.osce.org/de/odihr/36431?download=true
    Wenn Sie sich für das Thema interessieren, laden wir Sie herzlich dazu ein, an unserer Onlinebefragung teilzunehmen:
    Link zur Hate Crime Online Befragung: https://de.surveymonkey.com/s/HateCrimeSurvey