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(Initiative zur Förderung von Sprache und Bildung e.V.)
ISSN 2194-2668


Die Gaste, Ausgabe 38 / August-Oktober 2015

Die (Un)Möglichkeit der interkulturellen Kompetenz
[Kültürlerarasý Yetkinlik Olanaðý ve Olanaksýzlýðý]




Fatoþ ATALI-TIMMER
(Carl von Ossietzky Universität Oldenburg)




Es gibt kaum einen Bereich, im Besonderen in der psychosozialen und pädagogischen Arbeit, in dem das, was interkulturelle Kompetenz genannt wird, nicht ausdrücklich erwünscht ist. Es macht sich in Bewerbungsverfahren gut, wenn ein Zertifikat oder eine Teilnahmebescheinigung vorgelegt werden kann, die attestiert, dass man interkulturell kompetent ist, vielleicht sogar in einem vom Ausbildungsmarkt bescheinigten fortgeschrittenen Stadium.

Welche Elemente interkulturelle Kompetenz ausmachen, wird in vielen Schulungen oder in der Literatur weitestgehend mit Fähigkeiten, wie Toleranz, Empathie, Reflexionsfähigkeit etc. beschrieben. Hinz-Rommel (1994) war einer der ersten Wissenschaftler, der insbesondere in der sozialen Arbeit auf die Notwendigkeit der interkulturellen Öffnung hinwies und Veränderungen auf drei Ebenen forderte; Ausbildung, Träger und Personal. In Bezug auf die interkulturelle Öffnung der Institutionen sei interkulturelle Handlungskompetenz des Personals obligat. Er bezeichnet diese als die „notwendigen persönlichen Voraussetzungen für angemessene, erfolgreiche oder gelingende Kommunikation in einer fremdkulturellen Umgebung, mit Angehörigen anderer Kulturen“ (1994: 56). Mit anderen Worten: die Begegnung mit Menschen fremder Kulturen kann nicht mit den üblichen Kompetenzen bewältigt werden, sondern, es müssen weitere Kompetenzen erworben werden, um mit Menschen aus anderen Kulturen angemessen umgehen zu können. Dieses Verständnis von interkultureller Kompetenz bewahrt in der Regel bis heute seine Aktualität. Nach wie vor, basieren interkulturelle Schulungen, in denen interkulturelle Kompetenz vermittelt werden soll, auf der Vorstellung der Differenz der nationalen und ethnischen Gruppen. Kultur wird damit zur vermeintlichen Erklärung von Verhaltensmustern der in Bundesrepublik Deutschland lebenden Menschen mit dem sog. Migrationshintergrund.

Auernheimer (2002: 184ff) identifiziert vier Dimensionen, die bei einer interkulturellen Kommunikation von erheblicher Bedeutung seien: Machtasymmetrien, Kollektiverfahrungen, Fremdbilder/ethnische Grenzziehungen und die Differenz der Kulturmuster. Er vertritt die Meinung, dass interkulturelle Beziehungen fast „durchweg durch Machtasymmetrie - Status-, Rechtsungleichheit, Wohlstandsgefälle- gekennzeichnet“ seien. Kontakte zwischen Mehrheits- und Minderheitsangehörigen finden in Machtverhältnissen statt, Macht sei dabei nicht zu verwechseln mit Herrschaft, sondern Macht verstanden als „Überlegenheit hinsichtlich von Handlungsmöglichkeiten“. Auernheimer macht darauf aufmerksam, dass asymmetrische Beziehungskonstellationen, die von institutionellen Regelungen und bestimmt von „Oben-Unten-Schema“ kennzeichnend sind, strukturellen Rassismus abbilden (ebd.).

In der fachwissenschaftlichen Diskussion ist, das, was interkulturelle Kompetenz sein soll, äußerst umstritten. Das Konzept der interkulturellen Kompetenz wurde bereits vielfach modifiziert. Perko&Czollek (2009) haben ein politisiertes Diversitykonzept erarbeitet, das explizit bedeutsame gesellschaftliche Bedingungen thematisiert. Diese Entwicklungen werden allerdings vom Weiterbildungsmarkt nicht wahrgenommen, denn er boomt ohnehin mit alten Ansätzen. Durch rezeptartige Thematisierung und die teilweise exotische Darstellung von „Kultur“ sind diverse Schulungen nahezu entertainmenttauglich.

Mecheril weist darauf hin, dass es problematisch sei, Kultur auf bloße Inhaltlichkeit zu reduzieren. Solch ein Blick auf Kultur könne “von den strukturellen Bedingungen der Ungleichheit ablenken“ (2004: 22).

Ungleichheiten, die etwa durch Gleichbehandlung zustande kommen, wissend, dass nicht alle gleiche Bedingungen haben, Ungleichheiten, die per Gesetz geregelt sind; Verbote, Auflagen, Sanktionen. Spezifische Regelungen, die nur Personen betreffen, die als Menschen mit Migrationshintergrund bezeichnet werden, wie etwa Anforderungen bei der Familienzusammenführung. Diese Ungleichheiten verstärken die Machtunterschiede, die bei der Interaktion zwischen den „Migrant_innen“ und „Nichtmigrant_innen“, im Besonderen in einer Behörde, während einer Klient-Personal-Kommunikation bedeutsam sind. Nicht nur die Entscheidungsmacht, sondern auch die Zugehörigkeit zur weißen Dominanzkultur gibt dem Personal einen Status, durch den strukturell vorgelagerte gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse hergestellt und stabilisiert werden.

Ohne diese Ungleichheiten in Frage zu stellen, wird in Ansätzen der interkulturellen Kompetenz kulturelle Differenz (ebd.) als Erklärung für die vermeintlich Nicht-Gelingende-Kommunikation zwischen „Migrant_innen“ und „Nichtmigrant_innen“ herangezogen. Kulturelle Differenz, die vorgeblich die Handlungsfähigkeit des Personals lähmt, kann somit als Alibi für die Machtunterschiede und Ungleichheiten dienen und bestehende Schieflagen kaschieren.

Die sozialen und rechtlichen Bedingungen der Migrant_innen sind eines der relevanten Themen, die bei einer Interaktion beachtet werden müssen. Die Bedingungen, so Hamburger (2012: 185), und „die Position der Migranten in der Gesellschaftsstruktur, ihre ökonomische Funktion, ihre Degradierung zum Bürger zweiter Klasse – oft auch noch nach der Einbürgerung, die Vorenthaltung von Gleichberechtigung und Anerkennung“ müssen beachtet werden. Anders formuliert: statt Verstehen des ethnisch Fremden, ist Wissen um die gesellschaftliche Position der Migrant_innen in der Gesellschaft unabdingbar.

An dieser Stelle möchte ich die Frage, die Castro Varela (2002: 36) bereits im Jahr 2002 gestellt hat, aufgreifen. Für wen oder was ist interkulturelle Kompetenz ein Segen? In Bezug auf die Frage kritisierte Castro Varela, interkulturelle Kompetenz thematisiere Rassismus und seine Auswüchse nur am Rande. Es sei „gerade ein Effekt des institutionalisierten Rassismus, dass auch von den Gegenmaßnahmen zumeist nur die profitieren, die auch von der rassistischen Verfasstheit der Gesellschaft und ihren Institutionen profitieren“(ebd.). Weiterhin kritisiert sie, dass selbst von Antirassismus- Trainings vorrangig Mehrheitsangehörige profitieren, weil überwiegend sie solche Maßnahmen anbieten und symbolisch, wie ökonomisch, sie daran verdienen (ebd.).

Um aber Authentizität in die Trainings zu bringen, werden zunehmend Migrant_innen als Professionelle eingebunden. Sie sollen nicht nur den Inhalten Glaubwürdigkeit bringen, sondern auch im Gesamtarrangement der Schulungen zur visuellen Personifizierung des Themas agieren. Ihre Rolle besteht größtenteils darin, als Repräsentant_innen der Migrant_innen und als Expert_innen ihrer „national-ethnischen Kultur“ aufzutreten. In diesem Konstrukt wird die sogenannte interkulturelle Kompetenz bei Migrant_innen seitens der Teilnehmenden in den Schulungen nicht angezweifelt. Dass nicht jede Person mit dem sog. Migrationshintergrund fraglos über „interkulturelle Kompetenzen“ verfügen muss, stößt auf allen Seiten auf Ignoranz. Dennoch besteht aber die Wahrscheinlichkeit, aufgrund ihrer Lebensgeschichte, dass zumindest eine Auseinandersetzung mit migrationsspezifischen Themen erfolgt ist, jedoch erfordere professionelles Handeln eine Reflexion und Bearbeitung dieser migrationsspezifischen Erfahrungen und Fähigkeiten (vgl. Mecheril 2002: 18).

Mecheril (ebd.) benutzt mit ironischer Ernsthaftigkeit den Ausdruck Kompetenzlosigkeitskompetenz und kritisiert, dass durch das „Wissen“ über „die Anderen“ diese als Andere und Anders-zu-Behandelnde erst produziert werden. Dieses Wissen beschreibt er als „einschränkendes, festlegendes, gewaltförmiges Charakteristikum“, welches im wissensbegründeten Umgang mit „Anderen“ bedeutsam wird. Das Wissen um „den Anderen“ sei eine „Praktik der Nicht-Erkennung des Anderen durch das Erkennen. Jemand wird als kulturell anders identifiziert und gerade deshalb nicht-erkannt. So wird die vermeintlich rückständige Muslima, von der man zu wissen glaubt, sie werde unterdrückt, als hilfsbedürftige Muslima konstruiert und Herrschaft über sie und ihre Unterdrücker im Namen der Emanzipation legitimiert und gerechtfertigt. Das vermeintliche Erkennen entpuppt sich dabei als ein Nicht-Erkennen zur Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Über- und Unterordnungsverhältnisse.

Solange die Position der Migrant_innen in dieser Gesellschaft weiterhin eine marginalisierte bleibt, Rassismen zu deren Lebenswelt gehören, sie genutzt werden um politisch Stimmung zu machen, sie quasi zu der Rolle des „Bauern“ in einem Schachspiel gezwungen werden, kann durch Schulungen, die darauf basieren den „Fremden“ und seine Kultur zu verstehen, das ursprünglich angestrebte Ziel, nämlich die Ausgrenzungsmechanismen zu beseitigen, nicht erreicht werden. Das Ziel sollte vielmehr eine grundlegend neue kritische, gesellschaftspolitische Haltung sein, die Menschen nicht mehr nach Hintergrund oder Nichthintergrund trennt. Das ist ein langwieriger Prozess, der nicht mit Schulungen über die vermeintlichen kulturellen Besonderheiten Anderer erreicht werden kann, sondern durch eine kritische Reflexion der eigenen Positionierung.

Diese kritische Haltung ist nur möglich, wenn dabei der Anspruch „nach einer demokratischen, gerechten Gesellschaft als Perspektive“ aufrecht erhalten wird (Kalpaka 2009: 294ff). Eine demokratisch gerechte Gesellschaft findet von vielen Personen als Idee Zuspruch, vorausgesetzt, die eigenen Privilegien bleiben gesichert.

Literatur
    Auernheimer, Georg (Hrsg.) (2002). Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität. Opladen
    Czollek, Leah Carola/ Perko, Czollek/ Weinbach, Heike (2009). Lehrbuch Gender und Queer. Grundlagen, Methoden und Praxisfelder. Weinheim/München
    Hamburger, Franz (2012). Abschied von der Interkulturellen Pädagogik. Plädoyer für einen Wandel sozialpädagogischer Konzepte. Weinheim/Basel
    Hinz-Rommel, Wolfgang (1994). Interkulturelle Kompetenz. Ein neues Anforderungsprofil für die soziale Arbeit. Münster
    Mecheril, Paul (2004). Einführung in die Migrationspädagogik. Weinheim/Basel
    Mecheril, Paul (2002). „Kompetenzlosigkeitskompetenz“. Pädagogisches Handeln unter Einwanderungsbedingungen, in: Auernheimer, Georg (Hrsg.): Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität. Opladen
    Kalpaka, Annita (2009). „Hier wird Deutsch gesprochen“ – Unterschiede, die einen Unterschied machen, in Elverich, Gabi/Kalpaka, Annita/Reindlmeier, Karin (Hrsg.): Spurensicherung. Reflexion von Bildungsarbeit in der Einwanderungsgesellschaft. Münster
    Varela, Maria do Mar Castro (2002). Interkulturelle Kompetenz – ein Diskurs in der Krise, in Auernheimer, Georg (Hrsg.): Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität. Opladen