ÝKÝ AYLIK TÜRKÇE GAZETE
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(Initiative zur Förderung von Sprache und Bildung e.V.)
ISSN 2194-2668


Die Gaste, Ausgabe: 40 / Januar-März 2016

BIRLIKTE
Gemeinsam für Inklusion
in der Arbeitswelt
[“BÝRLÝKTE“ Ýþ Dünyasýnda Kapsayýcýlýk Ýçin Birlikte]



H.- Günter HEIDEN
(Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. - ISL)




Das Wort "birlikte" stammt aus dem Türkischen und bedeutet "gemeinsam" oder "zusammen". Deshalb wurde es auch als Titel eines neuen Inklusionsprojektes in Berlin gewählt, das finanziell von der Aktion Mensch gefördert wird. Das Projekt, das vorrangig von den beiden Behinderten-Selbstvertretungsverbänden ISL e.V. und InterAktiv e.V. sowie weiteren Partnerverbänden getragen wird, soll für den Bereich des Landes Berlin in den Jahren 2016 - 2019 dazu beitragen, einem inklusiven Arbeitsmarkt im Sinne des Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) näher zu kommen. Dabei werden insbesondere behinderte Menschen mit Migrationshintergrund in den Blick genommen, da diese in besonderem Maße vom Arbeitsmarkt exkludiert werden. Innerhalb dieser Gruppe wird darauf geachtet, dass behinderte Frauen mit Migrationshintergrund gleichermaßen von den Projektmaßnahmen profitieren wie behinderte Männer mit Migrationshintergrund.

Um diese Ziele zu erreichen, sollen Verbände von Unternehmen - auch solche mit einem migrantischen Hintergrund - sensibilisiert werden, damit sie nachhaltige Inklusionsstrukturen aufbauen. Das kann beispielsweise die Etablierung eines/einer Inklusionsbeauftragten sein oder das regelmäßige Angebot von Fortbildungsveranstaltungen zu dem Thema. Im Projektzeitraum sollen außerdem Netzwerke von Unternehmensvereinigungen, Verbänden behinderter Menschen sowie in der Ausbildung und Arbeitsvermittlung von Menschen mit Behinderungen tätigen Institutionen und Behörden entstehen.

Mit dem Projekt BIRLIKTE soll auch ein Beitrag der Zivilgesellschaft zur Umsetzung der "Concluding Observations" ("Abschließende Bemerkungen") des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zum ersten deutschen Staatenberichtsprüfungsverfahren vom April 2015 geleistet werden. In seinem Dokument empfiehlt der Ausschuss unter anderem, der intersektionalen Diskriminierung behinderter Menschen entgegenzuwirken und er fordert Deutschland nachdrücklich dazu auf, sicherzustellen, dass alle Konzepte und Programme auch für behinderte Menschen mit Migrationshintergrund uneingeschränkt zugänglich sind. Ausdrücklich fordert der Ausschuss "Programme für Frauen und Mädchen mit Behinderungen, insbesondere Migrantinnen" in allen Lebensbereichen durchzuführen.

Bewusstseinsbildung spielt eine wichtige Rolle

Das Projekt BIRLIKTE bezieht sich primär auf das Handlungsfeld "Arbeit", wobei auch Aspekte der Barrierefreiheit - beispielsweise bei den geplanten Barrierefrei-Beratungen von Arbeitgebern - eine Rolle spielen. Um Arbeitgeber*innen für die Potenziale behinderter Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zu interessieren, sind im Projekt vor allem Aktivitäten der Bewusstseinsbildung geplant. Bewusstseinsbildung ist auch ein wichtiges Anliegen der UN-BRK, da viele Partizipationshemmnisse durch einstellungsbedingte Barrieren entstehen. Bei den Aktivitäten zur Bewusstseinsbildung soll vor allem verdeutlicht werden, dass es sich bei Behinderung nicht um ein medizinisches oder soziales Defizit handelt, sondern um ein Menschenrechtsthema. Konkret sollen die Berührungsängste von Arbeitgeber*innen gegenüber Mitarbeiter*innen mit Behinderungen abgebaut werden. Arbeitgeber*innen sollen dazu motiviert werden, in behinderten Menschen potenziell wertvolle Mitarbeiter*innen für den eigenen Betrieb zu sehen. Mit kooperierenden Unternehmensvereinigungen (vorwiegend aus dem Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen, der sogenannten KMUs und vorwiegend aus dem migrantischen Spektrum) werden zu diesem Zweck Fortbildungsveranstaltungen für die Mitglieder und auch Führungskräfteschulungen, unter anderem für angehende Inklusionsbeauftragte der Unternehmensverbände oder einzelner Arbeitgeber*innen, angeboten. Dabei kommen auch Arbeitgeber*innen zum Einsatz, die bereits Erfahrung mit der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen haben und ihren Kolleg*innen auf der Peer-Ebene als Mentor*innen davon berichten können. Interessierten Arbeitgeber*innen wird eine Vor-Ort-Barrierefrei-Planung angeboten, um Arbeitsplätze umzurüsten. Gleichermaßen ist auch eine Vor-Ort-Fördermittel-Beratung vorgesehen, die Arbeitgeber*innen die Entscheidung für eine behinderte Arbeitskraft erleichtern soll.

Wie wird das Projekt konkret umgesetzt?

Nach einer Auftaktveranstaltung im ersten Projektjahr werden mit den bereits interessierten Unternehmensverbänden (Handwerkskammer Berlin, Türkisch-Deutsche Unternehmensvereinigung - TDU, MÜSIAD - Verein unabhängiger Industrieller und Unternehmer) Gespräche zur Installation von Inklusionsbeauftragten geführt und Veranstaltungen für die jeweiligen Mitglieder angeboten. Das Curriculum für diese Veranstaltungen wurde vorher im Rahmen des Projekts entwickelt, und es wird im Lichte der Erfahrungen gegebenenfalls revidiert. Interessierte Arbeitgeber*innen, die die Beschäftigung behinderter Menschen wagen wollen, erhalten Unterstützung durch das ebenfalls bereits kooperierende "Integrationsmanagement", einem bei einer Berliner WfbM (Werkstatt für behinderte Menschen) angesiedelten Vermittlungsdienst aus der WfbM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Es werden Kontakte zum Integrationsamt, zu Integrationsfachdiensten, Jobcentern und bei Bedarf zu weiteren Akteuren vermittelt. Barrierefrei-Beratungen und Fördermittel-Beratungen werden angeboten.

Im zweiten Projektjahr werden die bestehenden Kontakte intensiviert. Darüber hinaus werden Berliner Unternehmensverbände, die Arbeitgeber*innen mit osteuropäischen Wurzeln vertreten, kontaktiert. Auch hier werden Gespräche zur Installation von Inklusionsbeauftragten geführt und Fortbildungsveranstaltungen nach dem revidierten Curriculum für die Mitglieder angeboten. Interessierte Arbeitgeber*innen erhalten den Service wie im ersten Projektjahr. Im dritten Projektjahr wird das Projekt auf Unternehmensverbände ausgedehnt, die Arbeitgeber*innen mit außereuropäischen Wurzeln vertreten.

Wer sind die Initiatoren?

Die ”Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. - ISL" ist eine menschenrechtsorientierte Selbstvertretungsorganisation. Sie ist die Dachorganisation der Zentren für Selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen und wurde 1990 von behinderten Menschen gegründet. Die ISL e.V. definiert ”Behinderung” nicht als Defizit aus einer medizinischen Perspektive, sondern versteht Behinderung als Menschenrechtsthema. Die Leitideen der ISL e.V. sind ”Selbstbestimmung – Selbstvertretung – Inklusion – Empowerment”. Dabei wird ein behinderungsübergreifender Ansatz verfolgt, der alle Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen einbezieht. Die ISL e.V. ist der deutsche Zweig der 1980 gegründeten internationalen Selbstvertretungsbewegung behinderter Menschen ”Disabled Peoples´ International - DPI". Mit den Methoden des ”Peer Support” und ”Peer Counseling” stärkt die ISL e.V. einzelne Menschen mit Behinderungen im Sinne des Empowerments und der Emanzipation, damit sie Zugang zu ihren eigenen Persönlichkeitsstärken und Ressourcen bekommen und ihr Leben selbstbestimmt gestalten können.

InterAktiv e.V. - Verein zur Förderung eines gleichberechtigten Lebens für Menschen mit Behinderungen - wurde 2011 von Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, mit und ohne Behinderung und mit vielfältigen Erfahrungen, Kompetenzen und Perspektiven in Berlin gegründet. InterAktiv e.V. verfolgt das Ziel, Partizipation, Inklusion, Emanzipation sowie gesellschaftliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen – unabhängig von Art, Ursachen und Schwere der Beeinträchtigung, von Herkunft, Religion und Weltanschauung - in allen Bereichen der Gesellschaft voranzutreiben und deren Umsetzung auf nationaler und internationaler Ebene zu unterstützen. Der Verein setzt sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderungen und für die Schaffung von optimalen Rahmenbedingungen ein, die für deren selbstbestimmtes Leben und Chancengleichheit unerlässlich sind. Die Arbeit des Vereins ist vorrangig auf Menschen mit Behinderung und Zuwanderungsgeschichte und deren Bezugspersonen gerichtet. InterAktiv e.V. führt Informationsveranstaltungen durch, um Unternehmer*innen aus der Türkischen Community zur Beschäftigung von Menschen mit Beeinträchtigungen zu sensibilisieren.

Eine barrierefreie Webseite unter www.birlikte-berlin.de, die über die Aktivitäten des Projekts informiert, wird vorbereitet.